Ordnung ist das halbe Leben

Es gibt für mich Materialien und Stoffe, die ich nicht gut anfassen kann. Gerüche und Düfte unterschiedlichster Art nehme ich eher und intensiver wahr als Sehende und weiß daher bei Stadtspaziergängen, an welchen Geschäften ich in Begleitung vorbeikomme. Vor heißen Kochtöpfen habe ich allerdings Angst. Ich muss mir meine sensiblen Fingerkuppen, die ich sowohl zum Lesen als auch zum Keyboard- und Klavierspielen brauche, nicht unbedingt verbrennen, erklärte ich den Beteiligten in den Schulen.Ich gab allen zusätzlich deutlich zu verstehen, dass es nicht nur für Sehende Probleme gibt, für die sie Hilfe in Anspruch nehmen, sondern auch für Blinde und andere Behinderte. In diesem Zusammenhang erklärte ich den Begriff “Barrierefreiheit“ im Internet, bei öffentlichen Baumaßnahmen und im Straßenverkehr. Was soll ich z.B. tun, wenn ich allein zu Hause bin, und es fällt mir ein Glas oder eine Olivenölflasche hin und zerbricht dabei? Wie erklärt ein Sehender einem Vollblinden, der überhaupt keine Farbvorstellung hat und gar nichts sieht, was an Kleidung zueinander passt? Welche Farben sich beißen? Ob das Shirt fleckig ist oder nicht? Oder ob man an einem Fuß einen schwarzen und am anderen Fuß einen braunen Schuh trägt?

Meine Grundordnung und ein systematisches Ablegen von Schlüsseln, Brille und Stock etc. an dieselbe Stelle muss auch von Sehenden im Haushalt mit beachtet werden. Es erspart somit nerviges und unnötiges Suchen und trägt somit zum selbständigen Leben bei. Schräg stehende Zimmer- und Hängeschranktüren, der aufgeklappte Spülmaschinendeckel sowie im Weg stehende Putzeimer oder Blumentöpfe sind Stolperfallen und stellen Gefahren dar. Wenn ich zu Hause unsere Spülmaschine ausräume, achte ich genauestens darauf, welche Schranktüren offen stehen, um mich nicht zu stoßen. Falls doch einmal das Telefon klingelt, schiebe ich den Geschirrwagen in die Spülmaschine zurück, klappe den Deckel in die Senkrechte, schließe die Schranktüren und nehme erst dann das Telefonat entgegen. Bei den heutigen modernen Funktelefonen habe ich das Gerät in der Nähe liegen.

Ohne Unterstützung assistierender Eltern von Grundschulkindern und Lehrkräften hätte ich niemals richtig wissen können, was als nächstes für ein Schuljahr kam, wie groß die Kindergruppe ist und wie lang eine Einheit dauert. Die Eltern lernten durch mich, sich ebenfalls im Umgang mit Blinden richtig zu verhalten und dankten mir für meine offene und lockere Art.

Eine Mutter berichtete mir einmal, mit welch ernsten Gesichtern die Kinder in meinen Klassenraum kamen und wie glücklich sie wieder gingen, nachdem ich Aufklärung betrieb. Dass Blinde trotz des Nichtssehens soviel machen können, versetzte alle Kinder und Erwachsene in Staunen. Die von mir eingeforderte Disziplin, nicht durcheinander zu reden, hielten alle ein und trug zum Gelingen bei. Zudem schlug ich den Lehrkräften und Kindern vor, sich mit dem Beigebrachten am nächsten Schultag auszutauschen und darüber zu sprechen, da ich unterschiedliche Themen im Rahmen Blindheit ansprach.

Wenn ich zurück an meine Schuleinsätze denke, kann ich zusammenfassend sagen: Die Veranstaltungen waren aus meiner Sicht nicht nur für mich persönlich, sondern auch für die Lehrer, Assistenzkräfte und Schüler der entsprechenden Grundschule ein sehr schönes Erlebnis und bereichernd. Mir sind fremde Menschen zu richtigen Freunden geworden, und ich kann für die Zukunft solcher Veranstaltungen nur viel Glück, Erfolg und gutes Gelingen wünschen. Die bisher ausgewählten Schulen, in denen ich Gast war, waren alle gut geführt.

Eine Auswahl aus Schülerfragen an Wolfgang Krafft bei Besuchen in den Grundschulen in Langenfeld, Velbert, Wülfrath, Hilden, Witzhelden, Radevormwald:
Tut Blindheit weh?
Wie binden Blinde Schleifen an den Schuhen?
Warum tragen Sie eine Brille? (In allen Schulen wurde ich danach gefragt)
Wo kommt Ihre Blindheit her?
Kann ich auch blind werden?
Wer hilft mir nach Erblindung?
Können Blinde träumen und wie sehen dann die Bilder aus?
Sind Träume von Blinden anders als von Sehenden?
Können Ihre kaputten Augen nicht ausgetauscht werden gegen sehende Augen?
Können blinde Augen nicht wie ein Auto repariert werden?
Warum ist Blindheit für Sie ganz normal?
Wie finden Sie sich auf der PC-Tastatur zurecht?
Wieviel Zeit brauchten Sie, um die Blindenschrift lesen und schreiben zu können?
Ist es vor Ihren Augen schwarz?
Haben Sie Farbvorstellung?
Sind Sie auch schon mal traurig durch die Blindheit?
Sie bewegen sich ja ganz normal, ich dachte Blinde sehen keine Bewegung?
Können Blinde schwimmen, wenn ja wie?
Können Blinde auch traurig sein und weinen?